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Fest der Unbefleckten Empfängnis (8. Dezember 2004) Lk. 1:26-28.
Das wichtigste Wort des heutigen Evangeliums für das Fest der Unbefleckten Empfängnis ist: „Gegrüsset seist du, voll der Gnade.“ Bevor Gabriel an Maria herantritt, ist sie bereits „voll der Gnade“ und „gebenedeit unter den Weibern.“ Maria hat die Fülle der Gnade schon vorher. Weder in der Tradition, noch in der Bibel, gibt es einen Hinweis auf ein Datum, woraus logisch folgt: von Anfang an.
Weder die heilige Schrift, noch die frühe Kirche lehrten dies explizit. Wohl aber lässt dieses Evangelium kaum einen anderen Schluss zu: Das „voll der Gnade,“ gratia plena, ist geradezu der Familienname Mariae, Kecharitooménee, jedenfalls in der Anrede durch den Erzengel Gabriel. Wie aber kann das sein, wenn Maria erst im Moment der Verkündigung oder irgendwann in ihrem Leben von der Erbsünde befreit worden war? Die Begnadung Mariae kann nur dann vollkommen sein, wenn sie nie anders als perfekt war, sonst bestünde ja kaum ein Unterschied zu dem gebeichteten und kommunizierten Sünder, der gerade mit einem Rosenkranz vor dem Allerheiligsten und echter Herzensreue einen Moment der Heiligkeit erreicht hat, in dem er, falls gestorben, ohne Fegefeuer in den Himmel käme! Das kann nicht der Sinn des Wortes Kecharitooménee sein!
Und doch war kaum ein Dogma so lange und so heftig umstritten – nicht einmal die päpstliche Unfehlbarkeit, deren Gegner hauptsächlich den Zeitpunkt der Verkündigung kritisierten.
Die Grundidee der Unbefleckten Empfängnis findet sich bei den Vätern nur implizit, so im Tota pulchra es, Maria, Völlig schön bist du, Maria. Der heilige Ephraem der Syrer sagte: Du und deine Mutter, ihr seid die einzigen, die in jeder Hinsicht völlig schön sind; denn an Dir, o Herr, ist kein Flecken, und keine Makel an Deiner Mutter“ (Carm. Nisib 27). Weiter meinte er: „Zwei Unschuldige, zwei Einfache, Maria und Eva waren sich ganz gleich. Später jedoch wurde die eine Ursache unseres Todes, die andere Ursache unseres Lebens“ (Op. syr. II 327). Diese Parallele findet sich auch in der Tatsache, dass der gefallene Engel Eva die Botschaft der Sünde und des Todes brachte und der Erzengel Gabriel Maria die Botschaft der Heiligung und des Lebens. Deswegen war hier auch der freie Wille Mariae gefragt! Der heilige Augustinus schrieb, dass alle Menschen sich als Sünder bekennen müssen, „die heilige Jungfrau Maria ausgenommen, über die ich, um der Ehre des Herrn wegen, wenn von Sünden die Rede ist, überhaupt keine Frage aufkommen lassen möchte“ (De natura et gratia 36, 42).
Leo I. hingegen sagte in seinem Brief an Flavius, den Bischof von Konstantinopel (DS 294): Assumpta est de matre Domini natura, non culpa; „aufgenommen ist (in Jesus) von der Mutter des Herrn die Natur, nicht die Schuld“ (!). Was immer Papst Leo hier gemeint hat, ist, wortwörtlich genommen, eine Ablehnung der Unbefleckten Empfängnis. (Damals war das noch ein unbekanntes Thema und der heilige Leo war daher weder häretisch, noch „katholische Ohren verletzend“, wenn man diese Kategorie ernst nehmen kann. Vielmehr ist Leos Äusserung eine Bestätigung der restriktiven Auffassung der päpstlichen Unfehlbarkeit, so wie sie in Pastor Aeternus definiert wird.)
Der Grund, warum sich später zwei Schulen heranbildeten, war weder ein Mangel an Ehrerbietung gegenüber der Gottesmutter, noch, wie vielfach angenommen, ein einfacher Irrtum. Der an sich völlig logischen und sachlichen Argumente gegen die Unbefleckte Empfängnis waren drei: Erstens die Tatsache, dass alle Menschen von der Erbsünde betroffen sind, zweitens der Erlösung bedürfen und drittens die Frage der zeitlichen Übereinstimmung der Empfängnis, conceptio, mit der Beseelung, animatio.
Der britische Mönch Eadmer schrieb die erste Monographie für die Unbefleckte Empfägnis. Der heilige Bernhard von Clairvaux warnte anlässlich der Einführung des entsprechenden Festes in Lyon, um 1140, davor als einer unbegründeten Neuerung. Er lehrte, dass die Heiligung Mariae schon im Mutterschoss, aber erst nach der Empfängnis eingetreten sei.
Das Argument der unbegründeten Neuerung weist zwar auf ein gesundes Traditionsverständnis, zeigt aber gleich eine gewisse Engstirnigkeit, denn demgemäss müsste man ein Dutzend dogmatischer Definitionen der letzten Jahrhunderte streichen. Die Tatsache, dass die Tradition mit dem Tod des letzten Apostels, Johannes, abgeschlossen ist – nicht abgeschlossen war, sondern ist – bedeutet nicht das Ende der Versuche, sie in ihrer Tiefe zu erfassen. Wie Chesterton richtig sagte, ist das Dogma nicht das Ende des Nachdenkens, sondern der Beginn!
Das Argument der zeitlichen Verschiebung hingegen, ist eigentlich bis heute nicht gelöst. Soweit wir die Autoren verstehen können, waren weder Bernhard, noch Petrus Lombardus, noch Bonaventura, noch Albertus Magnus im Prinzip gegen die Unbefleckte Empfängnis. Alleine die Fragestellung des Thomas Aquinas zeigt, dass er sich in diesem Punkt eben nicht geirrt hatte (Summa Theologiae): Utrum Beata Virgo sanctificata fuerit ante animationem – Ob die Heilige Jungfrau vor ihrer Beseelung geheiligt worden war. Nur die rationale Kreatur kann von der Erbsünde befreit werden, womit Maria nicht vor der Beseelung Gnade empfangen konnte. Zweitens muss jeder Mensch erlöst werden, und vor der Beseelung empfängt man nicht die Urschuld, daher muss es nachher geschehen sein (III, q. 27, a.2, o.). Thomas verneint also nicht die UNBEFLECKTE Empfängnis, sondern die Unbefleckte EMPFÄNGNIS. Bis heute ist die Lösung der Frage der eigentlichen Beseelung nicht notwendigerweise mit der Zellteilung der Konzeption gleichzusetzen, wenngleich das Dogma deutlich darauf hinzuweisen scheint.
Die Lösung lieferten wahrscheinlich schon die Franziskaner William of Ware und Duns Scotus: Die Beseelung muss eben nicht zeitlich, sondern nur begrifflich, in der Ordnung der Natur, der Heiligung vorangehen. Wie so oft, war ein – ach so schrecklicher – neuer Ausdruck nötig, um die Lösung des theologischen Problems vorzubereiten: praeredemptio, Vorerlösung. Wie Duns Scotus sagt, ist das die vornehmste Art der Erlösung. Was ist leichter, eine Schuld zu vergeben, oder gar nicht eintreten zu lassen? Um es scholastisch auszudrücken: Potuit, decuit, ergo fecit – Er konnte, es geziemte sich, also tat Er es, nämlich das Privileg für Seine Mutter...
Das Konzil von Basel erreichte eine diesbezügliche – nicht verbindliche Erklärung, das Konzil von Trient nahm die Gottesmutter ausdrücklich vom Dekret über die Erbsünde aus, und nach weiteren passenden Erklärungen von Pius V. (DS 1073), Paul V. (DS 1616), Gregor XV. (DS 1622) und Alexander VII. (DS 1661), war schliesslich der Weg frei für die dogmatische Definition durch Pius IX., wohl gemerkt, nach Befragung des gesamten Episkopates.
Diese Einzigartigkeit Mariae findet sich auch begründet in den Worten: „Du bist gebenedeit unter den Weibern.“ Dass dem die lebenslange Freiheit Mariae von der Sünde folgte, ist wohl logisch und auch im Konzil von Trient und durch Pius XII. ausgesagt. Was die Frage der zeitlichen Übereinstimmung der Empfängnis mit der Beseelung angeht, so hat ausgerechnet der dem katholischen Glauben abtrünnige Ronald Reagan – und leider nicht der Papst – die beste Antwort gegeben: „Solange die Wissenschaft mir nicht nachweisen kann, dass die Beseelung nach der Empfängnis stattfindet, werde ich gegen die Abtreibung sein.“ Eine ausgezeichnete Antwort auf die Frage, die Thomas eben noch nicht gelöst hatte: Ist die Abtreibung „nur“ ein Verbrechen oder Mord?
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